Ärztekammer und Pflege haben eine unterschiedliche Auffassung davon, wie es in der Pflege weitergehen soll. Gerade bei der Akademisierung streiten sich die Geister. Einerseits ist die Steigerung der Pflegequalität gewünscht, andererseits ensteht offenbar ein Kompetenzgerangel bei Ärzten und Pflege. Vergessen beide seiten doch, das sie aufeinander angewiesen sind,

Hier der ganze Bericht.

Ärzte kritisieren Fehlentwicklung bei leitenden Pflegekräften
Freitag, 6. Juli 2018

Münster – Mit Blick auf den Fachkräftemangel und die „Konzertierte Aktion Pflege“ der Bundesministerien für Gesundheit, Familie und Arbeit hat die Kammerversammlung der Ärztekammer Westfalen-Lippe (ÄKWL) in ihrer jüngsten Sitzung die zunehmende Akademisierung der Pflege scharf kritisiert. Gleichzeitig forderte sie, dass auch leitende Pflegekräfte pflegen und so wieder in der Versorgung tätig sein sollen.

Nach Ansicht von Bernd Hanswille aus der Fraktion Marburger Bund hat die Akademisierung der Pflege inzwischen dazu geführt, dass immer mehr Pflegekräfte nur noch administrativ tätig sind. „In den Pflegeberufen ist es so, dass der leitende Anteil von seinem eigentlichen Sujet, nämlich zu pflegen, weit entfernt ist. Das ist bei Ärzten anders. Da müssen auch leitende Ärzte Nacht- und Wochenenddienste übernehmen und versorgen“, betonte der Leitende Oberarzt der Frauenklinik des Klinikums Dortmund.

„Wenn die leitenden Pflegekräfte alle so arbeiten würden, wie es leitende Ärzte auch tun, wäre das Problem des Fachkräftemangels schon deutlich kleiner“, ist Thomas Gehrke von der Fraktion „Arzt im Krankenhaus“ überzeugt, der als Leitender Arzt in der Chirurgie des Kreisklinikums Siegen tätig ist.

„Im Bereich Pflegemanagement haben sich Dinge entwickelt, bei denen man sich fragen muss, ob das der richtige Weg ist“, räumte Andreas Westerfellhaus ein. Der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung hatte auf Einladung der ÄKWL an der Sitzung der Kammerversammlung teilgenommen. Er warb bei seinem Besuch in Münster zugleich für die Pläne der Bundesregierung wie die „Konzertierte Aktion Pflege“, Personaluntergrenzen in bestimmten Klinikbereichen und das Pflegeberufe­reformgesetz, das am 1. Januar 2020 das bisherige Altenpflegegesetz und das bisherige Krankenpflegegesetz ablösen und den Berufsbereich der Pflege attraktiver machen soll.

Kritik am Anwerben ausländischer Pflegekräften
„Etwa 150 Betten sind zurzeit am Uniklinikum Münster geschlossen, weil Pflegekräfte fehlen“, schilderte Westerfellhaus. „Ambulante Pflegedienste kündigen bestehende Pflegeverträge auf und nehmen keine neuen Pflegebedürftigen mehr an.“ Das könne so nicht mehr weitergehen. Im Kampf gegen den Fachkräftemangel in der Pflege helfe es nicht, den Pflegekräften einfach nur mehr Anerkennung auszusprechen.

Auch ist es für ihn keine Option, Pflegekräfte aus dem Ausland anzuwerben, so wie es als ein Baustein der „Konzertierten Aktion“ vorgesehen ist. „Es gibt eine Liste mit Ländern, in denen darf man keine Pflegekräfte abwerben, weil sie dort die Probleme vergrößern, denn sie werden dort ebenfalls dringend gebraucht.“ Für ein reiches Land wie Deutschland, das sich das Ausbilden von Pflegekräften problemlos leisten könne, sei das Abwerben unvertretbar. „Für mich hat immer gegolten: Wir müssen unsere Probleme erst mal zuhause lösen“, betonte Westerfellhaus.

Für diejenigen, die freiwillig aus dem Ausland kommen, müssen seiner Ansicht nach allerdings schnellstens Lösungen gefunden werden, etwa bei der Anerkennung von Prüfungsergebnissen und Berufsabschlüssen. Außerdem soll die „Zusammenarbeit aller Gesundheitsberufe“ die Situation in der Pflege verbessern. Damit das gelingt, müsse die Pflege weiterentwickelt werden.

Befragung zur Pflegekammer NRW startet
Ein wichtiger Schritt ist dabei seiner Ansicht nach die Errichtung von Pflegekammern. In Rheinland-Pfalz und in Schleswig-Holstein gebe es sie bereits. Am 8. August startedie Pflegekammer Niedersachsen durch. Ein Hindernis auf dem Weg zur Errichtung einer solchen Standesvertretung ist für Westerfellhaus die Befragung der Beschäftigten, die zuvor durchgeführt werden muss. Dabei liege gerade in der Pflege die Hürde besonders hoch, denn „wir wissen gar nicht so genau, wo die Menschen sind, die wir mit der Befragung erreichen wollen“.

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In Nordrhein-Westfalen (NRW) stehe die Entscheidung über die Errichtung einer Pflegekammer unmittelbar bevor. „Nach der Sommerpause wird Ge­sund­heits­mi­nis­ter Karl-Josef Laumann sein Versprechen einlösen und eine Befragung durchführen“, sagte Westerfellhaus. „Und wir gehen von einem positiven Votum aus.“ Seinen Angaben zufolge sind in NRW zwischen 160.000 und 190.000 Menschen in der Pflege tätig. Sie zu alle erreichen, sei schon eine Herausforderung.

Ärztliche Aufgaben für Pflegekräfte?
Der Pflegebevollmächtigte der Bundesregierung ist auch davon überzeugt, dass den Pflegenden als zahlenmäßig größte Gruppe unter den Gesundheitsberufen „zugebilligt werden muss, mehr Aufgaben zu übernehmen“. Gerade vor dem Hintergrund einer steigenden Zahl von mehrfach und komplex Erkrankten werde die Versorgung immer schwieriger, interdisziplinärer und berufsgruppenübergreifender. Hinzu komme der Mangel an Hausärzten, so dass zum Beispiel die Versorgung von Pflegeheim-Bewohnern immer schwieriger werde. Daher sollten die Pflegekräfte „zusätzlich mehr Aufgaben übernehmen, wie etwa die Versorgung chronischer Wunden“, zumal sie ohnehin diejenigen seien, die die Wunden in der Regel als erste sehen.

Dieses Vorhaben stieß bei den Delegierten der Kammerversammlung auf heftige Kritik. „Nach dem Sofortprogramm der Bundesregierung sind 13.000 zusätzliche Stellen geplant, für die Sie Pflegekräfte suchen. Die sind also zu wenig“, sagte Norbert Hartmann von der Fraktion der Hausärzte. „Und jetzt sollen sie auch noch Aufgaben von Ärzten übernehmen? Das erschließt sich mir nicht, wie das gehen soll.“ Nach Angaben von Westerfellhaus gelingt das, indem Arbeitsprozesse in der Pflege neu geordnet werden. „Pflegende machen heute immer noch Dinge, für die sie viel zu hoch qualifiziert sind.“ Diese Tätigkeiten sollen künftig von anderen Berufsgruppen übernommen werden wie zum Beispiel Servicekräfte, die aus dem Hotel- und Gaststättengewerbe kommen.

Arbeitsverträge nicht befristen
Statt den Pflegekräften ärztliche Aufgaben zu übertragen, sollten nach Ansicht des Ärzteparlaments erst mal die Arbeitsbedingungen verbessert und Arbeitsverträge entfristet werden. „Nach ihrer Ausbildung werden die Pflegekräfte in der Regel befristet übernommen und zwar für maximal ein Jahr in der Einrichtung, in der sie ihre Ausbildung absolviert haben“, schilderte Bärbel Wiedermann von der Fraktion Marburger Bund. „Die werden dann zwar nach einer bestimmten Zeit entfristet – aber, ähnlich wie bei der Deutschen Post, nicht, wenn sie zu oft krank waren.“

Der Krankenstand bei den Pflegekräften liege bei acht Prozent in den Krankenhäusern und bei 15 bis 20 Prozent in den Pflegeheimen und damit deutlich höher als bei Beschäftigten in anderen Berufen in Deutschland. „Das heißt doch: Wir müssen uns die Arbeitsbedingungen ansehen und sie verbessern“, forderte Wiedermann, die auch den Verwaltungsbezirk Dortmund der ÄKWL leitet. Nur so könnten Menschen für den Pflegeberuf begeistert und langfristig im Beruf gehalten werden.

Berufsverband weist Kritik zurück
Der Deutscher Berufsverband für Pflegeberufe (DBfK) Nordwest wies die Kritik an der Akademisierung der Pflege zurück. Die Kritik an der akademischen Entwicklung der Pflegeberufe zeuge von großer Unkenntnis der Sachlage, sagte Martin Dichter, Vorsitzender des DBfK Nordwest. Neben Studiengängen in den Bereichen Pflegewissenschaft, Pflegepädagogik und Pflegemanagament seien mittlerweile auch in Deutschland primärqualifizierende Pflegestudiengänge etabliert.

Die akademische Qualifikation von Pflegenden und die Integration dieser in die klinische Pflege würden unter anderem vom Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen sowie dem Medizinischen Fakultätentag gefordert. Im Ergebnis sicherten bereits heute zahlreiche akademisch qualifizierte Pflegende als klinische Pflegeexperten im jeweiligen Pflegeteam, als Wundexperten sowie im Rahmen pflegerischer Konsiliardienste, in der Beratung und im klinischen Fallmanagement eine evidenzbasierte Pflege.

Die Tätigkeit von akademisch ausgebildeten Pflegenden in Leitungsfunktionen bezeichnet der DBfK als Ausdruck eines über Jahrzehnte entstandenen Nachholbedarfs. Vergleiche zwischen den Führungsstrukturen der Ärzteschaft und der Pflege seien nicht zielführend und eher angetan, die in der Krankenhauspraxis vertrauensvoll zusammenarbeitenden Berufsgruppen zu spalten. „Mir ist kein Krankenhaus in Deutschland bekannt, in dem die Anzahl akademisch ausgebildeter Pflegender im Management die Zahl von Oberärzten und Chefärzten übersteigt“, so Dichter.

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