Pflegende Angehörige sind der mit Abstand grösste Pflegende Bereich im Gesundheitswesen. Familien helfen sich untereinander, kümmern sich um Ihre Angehörigen. Doch die Pflege hat seinen Preis. Durch die Tatsache, dass es eine Reihe von Menschen braucht, einen Pflegenden zu versorgen, geraten Angehörige in einen Teufelskreis. Ihr eigenes Leben und das eigene Familienleben bleibt auf der Strecke. Es bleibt kaum Zeit für sich selbst und die innerliche Verpflichtung sich kümmern zu müssen wächst tagtäglich. Das Ende davon ist Erschöpfung, Streitigkeiten und bei einem selbst nicht selten depressive Verstimmungen und innere Ohnmacht, bis zur ausgeprägten Depression. Viele suchen sich zu spät Hilfe durch professionelle Pflegekräfte. Die Krankenkassen haben für die Überlastung bisher keine adäquate Lösung und sind durch die fehlenden Möglichkeiten oft Handlungsunfähig, an Beratung fehlt es hier zunehmend.

Es ist Zeit, sich um die pflegenden Angehörigen zu kümmern

Die hilflosen Helfer: Bei einer häuslichen Betreuung scheint das Risiko für eine Depression deutlich erhöht zu sein. Die allgemeine Gesundheit wird durch die Belastung aber nicht beeinträchtigt.

06.07.2016, von HILDEGARD KAULEN

 

© AFPFast jeder zweite Pflegende leidet auch nach einem Jahr noch unter depressiven Symptomen.

Wer sich um Angehörige oder Freunde kümmert, die derart schwer krank gewesen sind, dass sie längere Zeit künstlich beatmet werden mussten, tut dies nicht ohne Risiko für seine eigene psychische Gesundheit. Eine Untersuchung aus Kanada zeigt, dass zwei Drittel derjenigen, die nach der Entlassung eines Kranken die häusliche Pflege übernehmen und diesen bei der Rehabilitation unterstützen, depressiv gestimmt sind. Fast jeder zweite Pflegende leidet auch nach einem Jahr noch unter depressiven Symptomen.

Dabei spielt es offensichtlich keine Rolle, wie lebensbedrohlich der Zustand des Kranken auf der Intensivstation gewesen war, wie gut oder schlecht sein aktueller Zustand ist und in welcher psychischen Verfassung sich der Kranke gerade befindet. Viel wichtiger sind Faktoren, die mit den Pflegenden und der Pflegesituation zu tun haben. So neigen jüngere Menschen schneller zu depressiven Symptomen als ältere. Es scheint auch weniger belastend zu sein, sich um einen Ehemann oder eine Ehefrau zu kümmern als die Pflege eines kranken Kindes, kranker Eltern, kranker Geschwister oder kranker Freunde zu übernehmen.

Alltag durch die Pflege eingeschränkt

Das Risiko für eine Depression war auch größer, wenn die Pflegenden den Eindruck hatten, keine Kontrolle mehr über die Situation zu haben, wenn ihr Alltag durch die Pflege deutlich eingeschränkt wurde, wenn sie keine soziale Unterstützung hatten und wenn sie sich in ihren Entwicklungsmöglichkeiten eingeschränkt sahen. Ein höheres Einkommen senkte das Risiko für eine Depression. Die allgemeine Gesundheit der Pflegenden wurde durch die Belastung nicht beeinträchtigt, nur deren psychische Gesundheit. Einige Pflegende zeigten auch Symptome einer posttraumatischen Belastungsstörung.

Die Intensivmedizin habe sich lange Zeit nur darauf konzentriert, sicherzustellen, dass die Kranken überlebten, schreiben Jill Cameron von der medizinischen Fakultät in Toronto und ihre Kollegen im „New England Journal of Medicine“. Jetzt sei es an der Zeit, sich mehr Gedanken darüber zu machen, was eine intensivmedizinische Behandlung für die spätere psychische Verfassung und die Lebensqualität der Kranken und der pflegenden Angehörigen bedeute.

Cameron geht es um Risikofaktoren. Sie will erkennen, wer durch die Pflege und den Rehabilitationsprozess eines Patienten, der längere Zeit beatmet werden musste, besonders belastet ist, damit man ihm frühzeitig entsprechende Angebote machen kann. Bei den meisten pflegenden Angehörigen und Freunden gingen die depressiven Symptome mit der Zeit zurück. Bei 16 Prozent der Pflegenden blieben die Symptome unverändert.

Keine Kontrollgruppen

Allerdings hat die Studie einige Schwächen. Dazu gehört, dass Cameron und ihre Kollegen nicht wissen, wie viele Pflegende schon vor der einschneidenden Intensivbehandlung ihrer Angehörigen und Freunde depressiv gewesen sind. Es gibt auch keine Kontrollgruppen, um die erhobenen Daten in Beziehung zu setzen. Die Wissenschaftler können auch nicht ausschließen, dass es noch andere Gründe für die depressiven Symptome gibt. Allerdings passen die Ergebnisse zu denen früherer Studien.

An der kanadischen Untersuchung nahmen 280 Pflegende teil. Das Durchschnittsalter lag bei 53 Jahren, das Durchschnittsalter der Kranken bei 55 Jahren. Siebzig Prozent der Pflegenden waren Frauen. 61 Prozent kümmerten sich um einen Ehepartner. Die Pflegenden wurden viermal nach ihrer eigenen Gesundheit und ihrem psychischen Befinden befragt: nach sieben Tagen und nach drei, sechs und zwölf Monaten.

Die Studie ist Teil eines größeren Projekts, bei dem Unterstützungsangebote für pflegende Angehörige und Freunde entwickelt werden sollen. Eine Depression würde nicht nur deren Lebensqualität beeinflussen, sondern auch die Rehabilitation der Kranken.

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