Die ersten Betrüger in der Pflegedienstmafia Affaire sitzen in U-Haft. Offensichtlich sind nun weitere Hintergründe bekannt, wonach die Zentrale Steuerung in Berlin sitzen soll.

Senat setzt auf zusätzliches PersonalBetrügerische „Pflegemafia“ soll von Berlin aus operieren

Betrug in großem Stil in der Pflege: Rund 230 Pflegedienste sollen nicht erbrachte Leistungen abgerechnet haben. Gesteuert werde das Netzwerk aus Berlin, hieß es. Der Senat stockt Personal auf, um gegen Missbrauch vorzugehen.

Berlin soll das Zentrum einer weit verzweigten russisch-eurasischen „Pflegemafia“ sein. Das berichten am Dienstag der Bayerische Rundfunk und „Die Welt“.

Bundesweit stehen etwa 230 ambulante Pflegedienste unter Verdacht, mit betrügerischen Abrechnungen den Sozialkassen gigantische Schäden verursacht zu haben, bestätigte ein Sprecher der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft am Dienstag. Ermittelt werde gegen fast 300 Verdächtige. „Unsere Beschuldigten sind russischsprachige Deutsche“, so der Sprecher. Es handele sich um eine „organisierte Form“ des Betrugs. Viele der Betreiber sollen auch in andere kriminelle Machenschaften verwickelt sein, darunter Geldwäsche,  Schutzgeldzahlungen und Glücksspiel.

Das Netzwerk werde von Berlin aus gesteuert, Brandenburg sei einer von mehreren regionalen Schwerpunkten, berichten der Bayerische Rundfunk und die Welt. Sie berufen sich auf das Abschlussdokument der Sonderermittlungsgruppe von Bundeskriminalamt (BKA) und Landeskriminalamt Nordrhein-Westfalen mit dem Titel „Abrechnungsbetrug im Gesundheitswesen durch russische Pflegedienste“. Insgesamt gibt es mehr als 13.000 ambulante Pflegedienste in Deutschland.

Ambulanter Pflegedienst bei einer Patientin in ihrer Wohnung (Quelle: imago/epd)

Bayerischer RundfunkAbrechnungsbetrug: Bundesweites Netzwerk vermutet

Sozialkassen um eine Milliarde im Jahr geprellt

Der generelle Verdacht ist bekannt – ermittelt wird seit 2014. Nach Einschätzungen des BKA von vor einem Jahr könnten den Sozialkassen mit betrügerischen Abrechnungen solcher Pflegedienste mindestens eine Milliarde Euro Schaden im Jahr entstanden sein. Die Bundesregierung stattete die Krankenkassen durch eine Gesetzesänderung bereits mit zusätzlichen Kontrollbefugnissen aus. Neu sind nun die Details.

Auch Ärzte und Apotheker sollen mitgemacht haben

So soll das Betrugssystem laut „BR“ und „Welt“ funktionieren: Die Pflegedienstbetreiber besorgen sich ihre Kunden etwa über Kirchengemeinden. Mit den Familien der Pflegebedürftigen machen sie ein Geschäft auf Gegenseitigkeit: Anstatt den Schwerstkranken tatsächlich rund um die Uhr zu betreuen, werden deutlich weniger Leistungen angeboten. Bisweilen wird Pflegebedürftigkeit auch nur vorgetäuscht; auch Ärzte und Apotheker helfen dabei. Die Patienten und ihre Familien machen mit, weil sie eine Provision von bis zu 1.000 Euro pro Monat erhalten.

Neun Hauptverdächtige, vier sitzen in U-Haft

All das geschieht laut Sicherheitsbehörden vor allem innerhalb einer geschlossenen Gruppe. Der größte Teil der betrügerischen Betreiber stamme aus der Ukraine, so die Medien. Andere Herkunftsländer sind Russland oder Kasachstan.

Die Anklageschrift gegen neun Hauptverdächtige, von denen vier in Untersuchungshaft sitzen, ist noch nicht fertig, wie die Staatsanwaltschaft Düsseldorf am Dienstag berichtete.

Zwei Drittel der betrügerischen Pflegedienste sollen in bundesweiten Netzwerken agiert haben, heißt es weiter. Regionale Schwerpunkte seien Nordrhein-Westfalen und Berlin, außerdem Niedersachsen, Brandenburg und Bayern. 

Verdacht auf AbrechnungsbetrugGroßrazzia gegen Pflegedienst – Geschäftsführerin verhaftet

Berliner Polizisten haben am Donnerstag die Geschäftsräume eines ambulanten Pflegedienstes in Spandau durchsucht. Die Geschäftsführerin kam in Haft. Außerdem nahmen Ermittler zahlreiche Wohnungen in Berlin und Brandenburg unter die Lupe. Anlass für die Aktion ist der Verdacht des Abrechnungsbetrugs – im großen Stil.

Berlin stellt zusätzliches Personal zur Verfügung

Der Berliner Senat will den Betrug eindämmen, indem er zusätzliches Personal für die Bezirke bereitstellt. Gesundheitssenatorin Dilek Kolat (SPD) sagte dem rbb am Dienstag, 24 Stellen, die bisher auf zwei Jahre befristet waren, könnten jetzt dauerhaft besetzt werden.

Berlin habe allerdings bereits Geld sparen können, betonte die Senatorin: durch das zusätzliche Personal, das Bedarfsanträge genauer prüfe. Außerdem gebe es, wie jetzt von der Sonderermittlungsgruppe empfohlen, in Berlin zu diesem Kriminalitätskomplex eine Schwerpunkt-Staatsanwaltschaft.

Mehr Kontrollbefugnisse seit 2016

Bundesweit hatte bereits im vergangenen September im Zusammenhang mit dem Verdacht des Pflegebetrugs eine Razzia stattgefunden. Damals waren in 108 Wohnungen und Geschäftsräumen mehrere hundert Umzugskartons mit Akten und etwa 70 Terabyte an digitalen Daten sichergestellt worden. Auch zwei nicht mehr scharfe Kalaschnikows und halbautomatische Waffen mit Munition wurden entdeckt. 500 Polizisten, Staatsanwälte, Zöllner und Steuerfahnder waren damals im Einsatz.

„Die Welt“ und der Bayerische Rundfunk hatten schon im April 2016 von BKA-Ermittlungen berichtet. Die Bundesregierung hatte daraufhin den Medizinischen Dienst der Krankenkassen (MDK) mit zusätzlichen Kontrollbefugnissen ausgestattet. Seitdem können sämtliche Pflegedienste unangemeldet kontrolliert werden, wenn ein Verdacht gegen sie vorliegt. Außerdem wurden die Pflegekassen verpflichtet, schon bei der Zulassung von Pflegediensten sicherzustellen, dass sich kriminelle Dienste nicht einfach unter neuem Namen oder über Strohmänner eine neue Zulassung erschleichen können.

Lob für diese Maßnahmen kam am Dienstag vom Pflegebevollmächtigten der Bundesregierung, Karl Josef Laumann (CDU). Er sagte dem SWR, der Ermittlungserfolg zeige, dass die Gesetzesverschärfung greife. In der Pflege gehe es darum, einen Mittelweg zwischen notwendiger Kontrolle und Vertrauen in Familien und Pflegedienste zu finden.

Stiftung Patientenschutz: Kontrollen zu lasch

Die Deutsche Stiftung Patientenschutz kritisierte dagegen weiterhin zu lasche Kontrollen. Der Ermittlungsdruck durch die Polizei müsse erhöht werden, sagte Vorstand Eugen Brysch dem rbb am Dienstag. Bund und Länder hätten immer noch keine Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften gebildet. Der Abrechnungsbetrug könne „munter weitergehen“.  

Kritik übte Brysch auch am Medizinischen Dienst der Krankenkassen, der die Identität von Pflegebedürftigen teilweise nur sehr oberflächlich überprüfe. Es gebe Fälle, in denen eine einzelne Person unter wechselnden Namen mehrfach begutachtet worden sei.

Brysch forderte, dass Pflegeleistungen künftig nur noch elektronisch abgerechnet werden dürften. Ebenso müsse für jeden Versicherten eine einheitliche lebenslange Patientennummer eingerichtet werden. Krankenkassen und Pflegekassen müssten sich abstimmen. Dafür forderte Brysch eine gesetzliche Grundlage.

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